Predigt von Imam Husamuddin Meyer in der JVA Wiesbaden
Kaum tritt der Imam in das Strafhaus B der Justizvollzugsanstalt (JVA) Wiesbaden ein, läuft Kemal* zielstrebig auf ihn zu. Während der stämmige Häftling auf Arabisch mit „Salam Alaikum“ grüßt, beugt er sich runter und greift zur rechten Hand von Husamuddin Martin Meyer. Der muslimische Geistliche versucht sie zurückzuziehen, will demonstrieren, „nicht nötig“.
Für ein paar Sekunden ringen die Beiden um Meyers Hand, doch die Entschlossenheit des 21-jährigen Türken obsiegt. Er küsst die Hand und legt seine Stirn auf den Handrücken. Meyer erwidert die herzliche Respektsbekundung mit einem Kuss auf die Hand, die seine fest umschlossen hält.

Zehn Stunden in der Woche

Eine Szene, die sich für Meyer beim Aufeinandertreffen mit vielen anderen muslimischen Insassen an diesem Freitag wiederholt. Seit zwei Jahren ist der gebürtige Darmstädter zehn Stunden in der Woche als muslimischer Seelsorger in der JVA tätig. Der vor 20 Jahren zum Islam übergetretene und von Gelehrten zum Imam (arabisch „Vorbeter“) ausgebildete 42-Jährige leitet zudem das Freitagsgebet.
Fast alle der etwa 100 muslimischen von insgesamt 250 Gefangenen nutzen das Angebot des Islamwissenschaftlers. Meyer, der einen 20 Zentimeter langen grau-schwarzen Bart und einen Turban trägt, wandelt in einem türkisblauen traditionellen Gewand und einem hölzernen Imam-Stock durch die Gänge der JVA.
„Wer braucht noch einen Gebetsteppich?“ fragt Meyer die in den Gebetsraum langsam eintrudelnden Untersuchungshäftlinge, die ihn alle lächelnd begrüßen. Der Gebetsraum ist eigentlich ein 25 Quadratmeter großer schmuckloser Schulraum in der JVA. Die Tische und Stühle sind zur Seite gerückt, an den blass-gelben Wänden hängen Landkarten. Massive Gitterstäbe an den kleinen geschlossenen Fenstern schränken die Sicht nach außen ein. Die bunt gestickten ein Meter mal zwei Meter großen Teppiche werden nebeneinander auf den grauen Steinboden in der Mitte des Raumes gen Mekka ausgebreitet.

“Allah liebt die Reumütigen”

Kurz vor 14 Uhr, nachdem die Schuhe ausgezogen sind, warten die 25 Insassen zwischen 18 und 24 Jahren sitzend auf die Worte ihres Geistlichen. Vorher stellt Rashid El Bakri (32), muslimischer JVA-Bediensteter mit marokkanischen Wurzeln, einen Tisch in die Mitte des Raumes. Die Häftlinge aus dem U1-Trakt müssen von denen aus U2 symbolisch voneinander getrennt werden, da sie keinen Kontakt untereinander haben dürfen. El Bakri, auf dessen Brust das Wort „Justiz“ prangt, ist entspannt: „Es ist bei keiner anderen Maßnahme so ruhig, wenn sich so eine große Gruppe Gefangener versammelt.“
Die „Chutba“, die Predigt beginnt. „Diese Welt ist ein Test, den wir alle überstehen müssen“, sagt Meyer, während er sich stehend mit beiden Händen auf seinem Stock abstützt. Er nimmt die Pose eines weisen Gelehrten ein. Der sonst freundlich zurückhaltende Ton von Meyer wechselt in einen väterlich bestimmten. Egal in welcher Situation man sich befinde, müssten die Menschen diese akzeptieren und sich fragen, warum Allah ihnen diesen Test auferlegt habe und zur Rechtleitung, also zu einer rechtschaffenen Lebensführung, zurückfinden. „Allah liebt die Reumütigen“, betont er.

Wünsche an Gott

Während der Predigt schauen einige Inhaftierte verträumt auf den Boden und zupfen an ihren Gebetsteppichen, andere gucken Meyer direkt an, hören bedächtig und nickend zu. Als das anschließende gemeinsame rituelle Gebet, angeführt von Meyer, mit Verbeugungen, Lobpreisungen an Gott und Niederwerfungen mit dem Kopf auf den Boden zu Ende geht, halten noch einmal alle bei dem abschließenden Bittgebet inne.
Viele drücken fest die Augen zu und flüstern inbrünstig ihre Wünsche an Gott. Dabei sind die Handinnenflächen in Richtung Himmel geöffnet. „Für eine Woche habe ich jetzt Ruhe im Kopf. Ich bin so glücklich darüber, dass der Imam uns besucht“, sagt der Algerier Karim* (21), der sich illegal in Deutschland aufhält. Zum Abschied wünschen sich alle mit Handschlag den Segen Allahs zum Freitag, dem heiligsten Tag der Woche im Islam .....
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Quelle: Wiesbadener Tagblatt 19.05.2011